Die Sprache des Urmusikers Cyrill Schläpfer

Text Lisa Inglin

„Er ist ein verkanntes Musikgenie“, sagt der Veranstalter Beat Toniolo über Cyrill Schläpfer. Toniolo hat ihn nach Neuhausen an den Rheinfall zum Wort-und-Bild-Festifall eingeladen. Dort wird er auf einem Boot zusammen mit andern Künstlern Schwyzerörgeli spielen. Aber alles, was mit Werbung, Szene, Sich-in-den-Vordergrund-stellen zu tun hat, ist Schläpfer nicht geheuer. Deshalb brauchte es einige Überredung, bis er einverstanden war, sich am Rheinfall fotografieren zu lassen und über seine Arbeit zu reden. „Er ist eine einfache Person,  sehr musikalisch und sehr zuverlässig,“ sagt Walter Alder von der Appenzeller Volksmusikdynastie Alder. Von ihm hat Schläpfer das Hackbrett-Spielen gelernt und mit ihm hat er einige CDs aufgenommen. Cyrill Schläpfer, 49, spielt nicht nur selber verschiedene Instrumente, er arbeitet auch als Filmer, Musikethnologe und vor allem als Musikproduzent. Als solcher kennt er die urchigen Volksmusiker im Hinterland und in den Tälern, aber auch die Jungen, die Neues ausprobieren und internationale Stile mixen. Auch sein Musikinteresse hört nicht an der Schweizer Grenze auf. Was er sucht, ist immer das Authentische,  Eigene. Als er aus einem alten schwarzen Auto steigt, das über und über mit Blütenstaub bedeckt ist, entspricht er überhaupt nicht dem Bild des „Hudigäägeler“- Spielers. Schlaksig, grauhaarig, mit solidem Schuhwerk und randloser Brille in einem feingeschnittenen Gesicht, den Appenzellerhund „Blässli“ dicht auf den Fersen, passt er aber auch nicht ganz ins Bild des Künstlers oder des Intellektuellen. Cyrill Schläpfer ist von allem etwas und auch immer ein wenig dazwischen. Einer, der in die Zwischenbereiche vordringt, denen man mit Worten nicht mehr gut beikommt. Er wuchs in Luzern auf, spielte in einer Reggae Band, war Trommler in diversen Gruppen und Formationen, liess sich in Amerika zum Musikproduzenten und Aufnahmetechniker ausbilden und führt in Zürich seinen eigenen Musik-Verlag, die CSR Records. Da gibt er Ländler-Musik heraus aber auch den Ohrwurm „Campari Soda“ der Gruppe „Taxi“ oder CDs mit Originaltönen  wie Glockenläuten von Ziegen und Schafen. Sogar den Klang der Morgenluft bei Tagesanbruch am Vierwaldstättersee hat er auf einen Tonträger gebannt. Bekannt wurde Schläpfer 1993 durch den Musikfilm Ur-Musig. Da stieg er in die Krächen der Innerschweiz und des Appenzellerlandes hinauf und dokumentierte, wie die Leute in dieser Naturlandschaft  handörgeln, „chlefelen“ und jauchzen. Der Film, der auch eine Hommage an eine langsam verschwindende Kultur ist,  war ein Publikumserfolg und lief jahrelang als Matinee in verschiedenen Kinos. Sein jüngstes Werk,  die Dampfschiffsymphonie auf dem Vierwaldstättersee, ist bis jetzt weniger verbreitet. Dabei hat Schläpfer all sein Können und seine Leidenschaft da hineingegeben: „Der Vierwaldstättersee ist das Urbecken dieses Landes, das ist ein Mythos.“ Tausendmal war er an seinem Ufer bei unterschiedlichstem Wetter. Er kennt die Namen der Vögel, die hier nisten  und die Namen der Bäche, die von den Schneebergen herunter strömen und sich in diesem Becken sammeln, bis sie ins Mittelland abfliessen. Aus den Klängen der Dampfschiffe, den Tönen des Wassers, den Schaufelrädern und den Schiffsglocken hat er eine aussergewöhnliche Symphonie zsammengepuzzelt. Ein tiefes, meditatives, auch etwas melancholisches Werk, das er mit entsprechenden Bildern zu einer DVD anreicherte. Zehn Jahre arbeitete er daran. Dummerweise sei es oft so, dass seine Projekte ausufern. Jetzt gerade habe er Verschiedenes in Arbeit. Einige Projekte schleppe er schon jahrelang hinter sich her. Dazu gehören ein Hörbuch über Muotathaler Dialekt und ein Nachschlagwerk über Rhythmen in der Kubanischen Musik. „Ich wollte nicht, dass das wieder so ein Monsterwerk wird“, sagt er – doch genau das sei passiert. Seit acht Jahren recherchiert er, zwölfmal war er in Kuba. Bei allen Schwierigkeiten, die ihm dieses Projekt offenbar bereitete, merkt man seine Begeisterung für den musikalischen Schmelztiegel Kuba, wo sich religiöse Musik aus Afrika mit Einflüssen aus andern Himmelsrichtungen mischten: „Es gibt Orte, wo so etwas passiert, die zum Epizentrum einer Entwicklung werden. Rumba, Cha-cha-cha, Son, Mambo, diese Rhythmen gehören zur Basis der Popmusik.“

„Wenn man tiefer in ein Gebiet eindringt, dann offenbart sich erst der ganze Schatz dahinter“, sagt er.  So geht es ihm auch mit dem Schwyzerörgeli. „Was da für ein Wissen an Handwerklichem, an Spieltechnik , an Kompositorischen Überlegungen vorhanden ist!“ sagt er fasziniert. Vor zwanzig Jahren liess er sich von der Schwyzerörgeli-Legende Rees Gwerder in dieses Instrument einführen. Das heisst, Gwerder zeigte nichts, er spielte einfach. Schläpfer schaute zu, ahmte den Meister nach und übte zuhause anhand von Tonbandaufnahmen. Es ist ein rein intuitives Spiel, ohne Musiknoten. Immer noch gibt es solche Volksmusiker, die durch Überlieferung spielen ohne viel Theorie zu kennen. „Und trotzdem bringen sie es manchmal fertig, dass man sie spielen hört - und es einen friert.“, sagt Schläpfer bewundernd. Inzwischen kann man an der Musikhochschule Schwyzerörgeli studieren. Eine neue Generation spielt das Schwyzerörgeli zum Teil sehr virtuos. Schläpfer mag die beiden Richtungen nicht gegeneinander abwägen – er liegt wie so oft dazwischen. Bei seiner Ausbildung hat er zwar Notenlesen und vieles über Musiktheorie gelernt, doch das sei so gut wie vergessen. Wenn er zum Örgeli greift, dann spielt er aus dem Stegreif. Für eine „Stubete“ trifft er oft mit Musikkollegen zusammen und spielt, ohne dass man vorher übte. Einmal spielt der eine die erste Stimme, einmal der andere. „Man muss voraushören, wo die Harmonien durchgehen,“ sagt er. Ihm gefallen solche Anlässe in niederen Gaststuben, ohne Verstärker, wo die Musiker, das Publikum, die Wirtschaft zu einem einzigen Klangkörper verschmelzen.

Nahe dem Rheinfall gibt er eine kleine Kostprobe von seinem Spiel. Das Instrument auf dem linken Knie zieht er den Balg, so dass sich das grüne Blatt entfaltet und drückt dabei rhythmisch die Knöpfe. Das Schwyzerörgeli ist auch ein Rhythmusinstrument. Den Blick hat er bald in die Ferne, bald nach innen gerichtet. Während er beim Sprechen oft zögert, eine Aussage wieder zurücknimmt oder präzisiert, strahlt er beim Spielen Sicherheit und Gelassenheit und Kraft aus.

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