Cyrill Schläpfer hat eine monumentale Dampfschiffsymphonie geschaffen.

Interview von Tobias Graden für Bieler Tagblatt, 29. März 2008

 

Cyrill Schläpfer: Jetzt nehmen Sie das gerade auf?

Tobias Graden: Ja.

Ja gut, wenn Sie ein Interview machen wollen? dann gebe ich meine Antworten so, dass sie dann auch veröffentlicht werden. Wissen Sie, wenn man ein Interview gibt, dann tut man so? also ich jedenfalls? wie soll ich das sagen? ich bin ja nicht Politiker. Da ruf ich manchmal aus, Kraftausdrücke und so.

Das wird schon gehen. Fahren Sie gerne Schiff?

Ja, ich fahre gerne Schiff. Ich komme gar nicht so viel dazu. Ich würde zum Beispiel gerne mal eine Atlantiküberquerung machen mit dem Schiff.

Was hören Sie, wenn Sie Schiff fahren?

Oh? (überlegt). Das kommt aufs Schiff an. Ich bin bislang auf folgenden Schiffen gefahren: Autofähre, Dampfschiffe, Schlauchboote, Ruderboote, und in Griechenland war ich auch schon auf diesen grossen Fähren, die zu den Inseln fahren. Auf diesen hört man vor allem ein enormes Brummen. Und sonst höre ich am ehesten dieses Schneiden durchs Wasser, eine Mischung zwischen Sprudeln, Bugwasser und diesem «tschtschtsch».

Was ist das für Sie überhaupt, ein Schiff? In «Die Waldstätte» hat man das Gefühl, man höre Lebewesen zu.

(lächelt) Die Schiffe auf dem Vierwaldstättersee sind nicht wie sonst ein Schiff, das einfach ein Transportmittel ist. Diese hundertjährigen Schiffe sind Gesamtkunstwerke, und ich habe grossen Respekt vor den Leuten, die sie gebaut, gezeichnet und geplant haben. Diese Schiffe? diese Proportionen, wie sie in die Landschaft passen, diese Dimensionen. Das sind Würfe. Das war ja durchaus auch ein Eingriff, der Vierwaldstättersee war ein wichtiger Transportweg, aber die Erbauer hatten ein Sensorium fürs Ganze.

Wäre eine solche akustische Symphonie also etwa mit Autos nicht möglich gewesen?

Doch, vielleicht schon. Aber es müsste? Verstehen Sie, diese Schiffe sind hundertjährig, sind 100 Jahre in Betrieb gewesen und sind es immer noch.

Sie haben es sich sozusagen verdient, in einer solchen Symphonie verewigt zu werden.

Sie haben sich aufgeladen, sie haben sich mit dem Wasser und allem verbunden. Ein modernes Schiff hat niemals diese Atmosphäre. Auch mit so modernen, ich sag's jetzt mal so: Plastikautos könnte man keine Symphonie machen. Aber mit diesen alten Rocheln in Kuba oder mit alten Traktoren könnte man dies durchaus. Es muss Materie sein, Plastik würde sich nicht eignen. Doch es gibt sicher Leute, die sagen, dieser Schläpfer, das ist ein rückwärtsgewandter Typ.

Sie finden synthetische Klänge belanglos. Warum?

Unter «synthetisch» verstehe ich digital erzeugte Klänge. Diese sind keine Ereignisse, keine Vibrationen in den Luftmolekülen, sondern die werden durch einen synthetischen Prozessor erzeugt, sie bestehen aus Zahlenkombinationen. Das ist für mich ein toter Ton. Nehmen Sie zum Beispiel die Ansage der Haltestellen im Tram: Entweder sagt das der Chauffeur, oder es ist ein digitales Sample. Das ist auch so eine tote Sache.

Das nimmt ja zu.

Ja, es wird immer langweiliger, es ist entsetzlich.

Das heisst, die Welt wird akustisch uninteressanter.

Das ist eine gewagte Aussage, aber zumindest maskieren die uninteressanten Töne die interessanten.

Ich habe gelesen, Sie wehren sich dagegen, dass man «Die Waldstätte» als musique concrète versteht. Warum?

Ich wehre mich nicht dagegen, aber ich kann das nicht einfach von mir aus behaupten. Denn die musique concrète ist auch etwas Älteres, etwas, das von Vorgängern entwickelt wurde, es gibt eine Schule wie in der Klassik oder im Jazz. Ich habe das nicht studiert, ich komme nicht aus dieser Tradition, ich bin ein Amateur. Ich sage das auch aus Respekt.

Angesichts dieses immensen Werks stellt sich die Grundsatzfrage: Wie kommt man dazu, so etwas zu machen?

Es ist ein Bündel von Gründen. Ich versuche mich kurz zu fassen. Ich bin Musikproduzent. Ich habe Freude an diesen Schiffen. Ich habe Freude an diesem See. Ich bin Luzerner, ich bin vertraut mit diesen Geräuschen, also wollte ich sie schon aus rein dokumentarischen Gründen aufnehmen. Und ich muss mir als Produzent auch überlegen: Kann ich meine Aufnahmen in eine Form bringen, die neue Wege geht? Welche Nische finde ich? Es wurde dann immer komplizierter. Ich wusste ja nicht, dass das so gross werden würde, stellen Sie sich vor, das sind keine Dreiminutenstücke, sondern 70-minütige Teile, das sind Monster. Ich kann das ja nicht anschauen wie ein Bild und dann sagen, es liegt am Blaustich, nein, ich muss dieses Zeug immer von vorne bis hinten durchhören.

Sie haben zehn Jahre lang daran gearbeitet.

Nicht ununterbrochen, das schon nicht.

Gleichwohl - hatten Sie bisweilen Zweifel?

Ja, grosse. Sehr, sehr, sehr grosse. Ich hab's verflucht. Ich habe vorhin den letzten Grund vergessen: Eine gewisse Sturheit, Verbissenheit; man will ja das Gesicht nicht verlieren, man muss es fertig machen.

Gab es einen Punkt, an dem Sie am liebsten alles hingeschmissen hätten?

Ja, ja. Es gab auch äussere Grenzen - finanziell ist das ein Ruin.

Wie merkt man bei einem solchen Gewaltswerk überhaupt, wann es fertig ist?

(lächelt, überlegt) Sie, das weiss ich auch nicht genau.

Ist's es denn?

Sie müssen sich vorstellen - man kommt an Grenzen. Letztes Jahr, da war ich wirklich? (betont) mo-na-te-lang je-de Nacht bis morgens um drei an diesem Scheiss, und die Kosten summieren sich, da beginnt man bei anderen Leuten zu klagen und dann sagen die, hey, mach doch diesen Scheiss einfach fertig, und dann denkt man, ja, vielleicht müsste man es langsam sein lassen (lacht). Man kontrolliert es immer wieder, findet da, da, da, und da, da, da, immer wieder Punkte, die es zu verbessern gilt. Und einmal kommt der Punkt, an dem man denkt, o. k., ich glaube, jetzt kann ich's stehen lassen, jetzt hat es keine Peinlichkeiten mehr drin.

Als Hörer würde ich kaum merken, wenn irgendwo etwas anders wäre, ich würde nicht sagen, hoppla, da stimmt etwas nicht.

Nicht so direkt, aber ich habe natürlich tausende Störgeräusche entfernt. Das Werk ist total künstlich. Wenn die Ausgewogenheit nicht stimmt, würden Sie das schon hören. Normalerweise führt man ja Werke vor der Fertigstellung auf, seien es Musikstücke oder Filme, dann merkt man, wo sich das Publikum langweilt, wo es Probleme gibt, und kann dies ausbessern. Das konnte ich nicht.

Sie haben eine Aufführung geplant, zusammen mit einem Schiff, sei es in der Werft oder vor dem KKL in Luzern, es hat nicht geklappt. Fehlt dem Werk so das letzte Element?

Ja, klar. Das ist für jeden? für jeden.. ich will jetzt nicht sagen, ich habe da was komponiert, aber jeder, der so etwas macht, möchte das natürlich auch aufführen. Ich habe das Gefühl, in diesem Fall funktioniert eine Aufführung nur mit einem Dampfschiff. So könnte das Publikum das spüren, was ich gespürt habe. Das Schiff, das singt und vibriert. Das Publikum würde erkennen, dass sich Materie aufladen kann.

Was haben Sie gespürt, als Sie die fertige CD/DVD-Box in den Händen hielten?

(lächelt) Erleichterung. Und ich habe mich gefragt, was das Ganze überhaupt soll. Aber das ist normal, ich muss das dann in zehn Jahren wieder mal anhören.

Sie haben momentan ein bisschen genug davon.

Ja. Sie müssen sich vorstellen, das war schon ein bisschen eine Überdosis.

Die Dampfschiffsymphonie spielt auf dem Vierwaldstättersee, der quasi der Mittelpunkt der mythischen Schweiz ist. Spielt das eine Rolle?

Ja.

Welche?

Sie haben ja gerade gesagt, der Vierwaldstättersee spiele eine mythische Rolle, sei ein Mittelpunkt. Das haben offenbar schon unsere Vorgänger gespürt, Schiller, die Schweden, die während der Völkerwanderung dorthin gegangen sind; dass dies ein Ort ist... Waren Sie auch schon dort?

Ja, aber wohl nicht so bewusst wie Sie.

Haben Sie darin gebadet?

Das ist eine Weile her.

Der See ist wie ein Auffangbecken, auch im Sommer, vom Regen, vom Gletscherwasser, das ist wie Mineralwasser, wenn man da reingestiegen ist, ist man nachher... Wie soll ich das sagen? Es ist eine Substanz, das ist ein tolles Wasser, das ist nicht irgendein Kiesgrubentümpel. Und er ist sehr tief, diese Tiefe hat auch eine Faszination.

Was heisst für Sie Heimat?

Das, genau das. Auch diese Töne, die Vögel...

Mit dem «Glüüt», den Aufnahmen von Geissen- und Kuhgebimmel, haben Sie Welten, die vom Verschwinden bedroht sind oder zur touristischen Kulisse transformiert werden, ein Denkmal gesetzt. Kann Heimat für Sie auch etwas Gegenwärtiges sein?

Ja, klar. Doch die Gegenwart ist aus dem entstanden, was unsere Vorgänger gemacht haben. Mir geht es um Respekt: Das «Glüüt» ist Respekt vor diesen Bauern, vor ihrer kulturellen Leistung.

Haben Sie das Gefühl, Sie leben in der richtigen Zeit? Oder wäre es Ihnen vor hundert Jahren wohler gewesen?

(überlegt) Sagen wir es so: Was die Ästhetik betrifft, sei es Architektur, Landschaftsgestaltung, oder wie Schrifterzeugnisse daherkommen, Bilder, Fotografien - da hab ich schon des Gefühl, es sei heute ein bisschen pornografisch geworden.

In welchem Sinne?

Widerlich halt, hässlich. Platt, so direkt, so funktional, so ohne Verspieltheit, Verzierungen. Aber es gibt auch gute Sachen. Ich habe ja auch modernere Sachen produziert, habe moderne Musik studiert. Doch ich suche beim Fundament und versuche, von dort aus weiterzubauen.

Sie haben mit dem Film «Ur-Musig» die Schweizer Volksmusik in ihrer ursprünglichen Form verewigt und gleichzeitig den Ethno-Jodel-Pop einer Christine Lauterburg verlegt, die von Traditionalisten angefeindet wurde. Wie passt das zusammen?

Diese Polarisierung war eine Medienerfindung, Lauterburg wurde von der Volksmusikszene schlicht ignoriert. Für mich ist das kein Gegensatz, doch ich finde, bevor man sich bei folkloristischen Ausdrucksweisen bedient, muss man ihnen erst Respekt zollen. Man sollte sie nicht einfach nehmen und sagen, jetzt entstauben wir das alte Zeug. Man muss machen, nicht befreien.

Sie sind unter anderem ein Sammler, Dokumentalist, Archivierer. Was ist insgeheim Ihr Ziel? Ein komplettes Tonarchiv der Schweiz zu erstellen?

Nein, bloss das nicht. Was wollte ich damit? (überlegt) Eigentlich ist es recht banal: Ich sehe mich als Musiker, ich habe Freude, wenn ich eine Resonanz habe, wenn die Leute etwas gerne hören.

Ihnen wird zugeschrieben, Sie hätten den Hang zum Gesamtkunstwerk.

(überlegt lange) Ich kann das nicht so beurteilen. Wenn ich etwas mache, dann will ich es schon so gut machen, wie es geht, damit es einigermassen abgerundet ist.

Sind Sie auch schon auf dem Bielersee Schiff gefahren?

Nein. (überlegt) Oder doch?

St. Petersinsel, Drei-Seen-Rundfahrt...

Ich weiss nicht. Es könnte sein. An der Expo hatte es ja auch gewisse Schiffe.

Es gibt auf dem Bielersee einen Solarkatamaran. Würde Sie dieser interessieren als Objekt?

Ja, das könnte noch lässig sein, diesen zu mieten und darauf irgend so eine gestylte Loungeparty zu machen, mit Models, die servieren (lacht).


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