Künstlerische Sprünge geraten zu Sprüngen ins Leere

von Bänz Friedli für  Berner Zeitung BZ. 26. Juni 1994

Drei singende Schweizer Frauen (ver)suchen die Metamorphose. Christine Lauterburg und Dodo Hug scheitern dabei, jede auf ihre Weise, grandios. Nur der Schritt der Walliserin Sina, weil der berechenbarste, gelingt einigermassen.

Sepp Trütsch, der nationale Volksmusik-Oberkrainer, findet es „ein tolles Projekt“: Christine Lauterburg versucht den Sprung vom Berner Szenen-Original, das in Filmen und Theaterstücken bisher sich selbst darstellte, in die internationalen Charts. Mit Techno-Jodel. „Echo der Zeit“, das erste Solo-Album der Bernerin, gibt vor, Schweizer Folklore in die Gegenwart zu transportieren. „Jodel ist jahrhundertelang gewachsen“, gibt der Produzent der Platte, Cyrill Schläpfer, zu bedenken, der sich mit seiner Arbeit mit dem Muothataler Örgeler Rees Gwerder und  dem Film- und Klangprojekt „UR-Musig“um hiesiges Musikgut verdient gemacht hat: „Man muss der Tradition mit Respekt begegnen; es ist schwierig, sie nicht zu verwursten, nicht zu ‚verhunzen’.“

Verhunzen: Nicht einmal das gelingt Lauterburgs CD. Was selbst die Deutsche Presseagentur als Quantensprung in der Schweizer Popmusik feiert, ist ganz einfach langweilig. Die HipHop-Produzenten Pascal De Sapio und Bruno Stettler wurden beigezogen, auf dass der Jodel trendy töne. Doch nach fünfjähriger Arbeit am Alpen-Techno gebar der Berg eine Maus. Während über 70 Minuten wabern Tanz-Grooves und  allerlei Elektronik-Effekthascherei daher,  dazu tönt Christine Lauterburg in allen Lagen. Brechungen aber, die erst die Spannung zeitgenössischer Auseinandersetzungen mit der Volksmusik ausmachen (wie sie Hubert von Goiserns Apinkatzen jüngst im Live-Konzert  vorführten), fehlen fast gänzlich. Zwar zwitschern da Vögel und ticken Uhren, es bimmeln Kuhglocken und rauschen Bäche: Weshalb, ist aber  nicht eruierbar – die Klänge, nicht zwingend, sind Selbstzweck. War Lauterburgs „Schynige Platte“, 1991 mit Naturtonmusiker Res Margot mit Langnauerörgeli und Synthesizer eingespielt, zumindest glaubhaftes Ringen um eine zeitgemässe Folklore, beibt’s diesmal bei einer Oberflächenbehandlung der Tradition.

Entseelte Tradition: Leere

Zum Beispiel das  adaptierte „Röseligarte“-Stück „Stets i Truure“: Es mag in der eher konservativen Berner Rockszene, deren Hymne dieser Song ist, verdiestvoll sein, nicht in Ehrfucht und falsch verstandenem Traditionalismus zu verharren. Christine Lauterburg aber entseelt das Lied, ohne ihm neues, anderes Leben einzuhauchen – vom Scratchen abgesehen, das wohl ein Hinweis auf die Gegenwart sein soll.

Das grandiose Vorhaben ist degeneriert zum Dancefloor mit Pseudo-Mystik („Wenn i dür d’Stadt loufe i mim rote Chleid, de erinneren i mi dra, das i mal e Blueme bi gsy“) und United-Colors-Touch (es wird kurdisch und japanisch gesungen). Wohl vermag das Volkslied „Anneli“ eine gewisse Melancholie haraufzubeschwören, sonst aber ist die Platte bar jeder Intensität. Zuletzt artet sie gar in eine Verwurstung von Hip-Hop und Modern Mundart aus, die weder der Tradition noch der Jetztzeit gerecht wird. Statt in die Tiefe führt Lauterburgs Weg in die Hitparade: „Enigma“ auf Berndeutsch.

Dodo will nicht mehr mad sein

Auch Dodo Hug jodelt. Doch „Mad Dodo“, ihr musikalisches Kabarett, ist vorbei: Das Publikum lachte sich krumm über die ulkige Dodo und lachte damit die von ihr dargebotene Folklore als exotisch aus. Das brachte zwar Erfolg, konnte aber nicht gut gehen. Des eigenen Images überdrüssig, will die Frau nicht mehr mit komödiantischem Talent, sondern ihrer Stimme wegen ankommen: Für die erste ernsthafte Studioproduktion „Ora siamo now“ versuchte die bernisch-zürcherische Interpretin, Songs für ihre  Stimme zu schreiben, nachdem sie die Stimme während Jahren Songs geliehen hat. Allein: Dodo Hug ist keine Songwriterin. Sie reimt peinlich und ungelenk, bringt ihre Platte, trotz vielen musikalischen Ansätzen, als ganze nicht zum Klingen. Kaum setzt ein Song an, wird er von einem Studiomätzchen unterbrochen: „I ma nümm“ etwa ist, statt eines Songs, kabarettistische Montage.

Nicht einsichtig ist, weshalb die Voli-Geiler-Adaption „Cigarette (sich wer kann)“ gebrochen slawisch (und somit rassistisch) gesprochen ist, oder was „Maremma“ auf der CD zu suchen hat, nachdem Gianna Nannini dieses italienischen Volkslied erst vor Jahresfrist weit eindringlicher gesungen hat. Der Sprung vom Klamauk ins ernsthafte Fach missrät vorerst: Dodo Hug will, zumal stilistisch, zuviel und verfehlt zwischen Ballade und Blödelei, Liebeskummer und Umwelt-Engagement eine eigene Identität. Der Schlusstitel „I weiss nid wär i bi“ bleibt leider Programm. 

Eine Identität findet Sina, das einstige Schlagerstarlet „Sina Campell“ aus Gampel, in ihrem Pop-Debüt „Sina“, Polo Hofers gesamte SchmetterBand, deren ehemaliger Saxophonist Markus Kühne, der Zürcher Gitarrist Thomas Fessler sowie die Berner Texter Housi Wittlin und Dänu Brüggermann  wurden mobilisiert, der Schlagerinterpretin den Sprung zur Rocksängerin zu ermöglichen. Das Resultat ist solider, allzu solider Schmettersound, der (ausser  in „Angscht“) Experimente scheut und dafür Ohrwurm-Qualität aufweist. Dazu dürfte die Exotik, deretwegen der Walliser Dalikt der Restschweiz sympathisch ist, mitverantwortlich  sein, dass „Sina“ zurzeit oft am Radio zu hören ist.

Neue Frau im Mundartrock

Wohl krankt Sina, wie die Genre-Kolleginnen Natacha und Nora Zoom, daran, dass sie textlich („Isch där liäb Gott wirkli öü niä chrank?“ / „Ich gspiru dinä Aatum no um miinär Hüüt“) und punkto gesanglicher Phrasierungen das Schlagerhafte (noch) nicht ganz abzustreifen vermochte.  Die Arrangements und ihre  herbe Stimme retten sie jedoch: Sina singt kitschige Texte unkitschig. Eindrücklich, wie sie den „Sohn vom Pfarrär“ („Son of a preacherman“) intoniert.

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