Der Apéro-Höhenflug des Popsongs “Campari Soda”

Von Samuel Mumenthaler für Berner Zeitung, 27.12.06

Als Dominique Grandjean «Campari Soda» 1977 veröffentlichte, blieb das Lied beinahe unbeachtet. Heute dient es als Werbesong und ist die Hymne der urbanen Schweiz.

Bei «Die grössten Schweizer Hits», der grossen Samstagabend-Gala des Schweizer Fernsehens, fehlte «Campari Soda». Das erstaunt, denn der Song ist längst so etwas wie die Hymne der urbanen Schweiz. Und es erstaunt nicht – aus dem gleichen Grund. «Campari Soda» ist zu abgehoben, um es zum Volkslied zu bringen, darin unterscheidet es sich von Hanery Ammans und Polo Hofers preisgekrönter«Alperose» mit ihrem Heu- und Alpenflora-Aroma. Zwischen «Campari Soda» und «Alperose» liegen Welten. Oder besser: Der Himmel. Im Berner Rock geht es um Fernweh, und der kleinste gemeinsame Nenner lautet: «Mir wäre fasch gange» (Züri West).

Sicherheitsgurt

Der Fall «Campari Soda» liegt anders. Hier ist der Sänger schon mit dem Düsenflieger abgehoben ins Irgendwo, wo die Luft dünn ist. Er hängt in seinem Sitz und droht sich trotz Sicherheitsgurt zu verlieren. Und als ob dies nicht surreal genug wäre, ordert er das Getränk, das sich sonst nur die Schönen und Reichen in teuren Zürcher Bars leisten. Einen Campari Soda: rot, bitter und irgendwie anders.

Take-Off

«Campari Soda» stammt aus der Feder eines Psychiaters – das hört man dem Song an. Traumwelten und Existenzfragen werden hier angesprochen und in den Tarnanzug eines züritüütschen Pop-Liedchens gepackt, das sich unbewusst bei den Harmonien der Sechziger-Schnulze «Aline» bedient. Im Sommer 1977 spielte Dominique Grandjean im legendären Kirchberger Sunrise Studio mit drei Bekannten in einer intensiven Aufnahmesession ein Mundart-Album ein. Taxi hiess das Projekt, das keine Band im eigentlichen Sinn war und nie live auftrat. «Campari Soda» war eines von 11 zwischen dem Minimalismus von Velvet Underground, dem Drogen-Blues der Stones und dem nihilistischen Punkrock seiner Zeit angesiedelten Songs. Er passte bestens auf die LP, auf der Grandjean die Langeweile der um sich selber rotierenden Züri-Schickeria und den grauen Schweizer Alltag nach der Erdölkrise skizzierte. «Es isch als gäbs mich nüme me» – die Schlüsselzeile von «Campari Soda» gab auch der LP den Titel – hätte eine sich selbst erfüllende Prophezeiung werden können: Zu schräg, zu zürcherisch, zu intellektuell war das nur 600 Mal gepresste Taxi-Album für die Schweiz.

Steigflug

Doch dann begann der langsame Steigflug von «Campari Soda». Der Berner Filmer Bernhard Giger verwendete den Song schon 1980 in seinem Film «Winterstadt»; und als er 1986 auf dem Zürcher Szene-Sampler «Definitiv» landete, stiegen auch die Radios ein. Es folgten Coverversionen von Span, Stephan Eicher und vielen anderen. Heute kommt kaum ein Rocker oder Rapper darum herum, den Song zumindest zu zitieren, selbst in der Verfilmung von «Mein Name ist Eugen» wird ihm die Reverenz erwiesen.

Jetzt hat auch die Fluggesellschaft Swiss das Potenzial des 30-jährigen Liedes für sich erkannt und es seinen Werbespots als Tonspur unterlegt. Zur an den Nationalstolz gekoppelten Marke Swissair hätte das kaum gepasst, beim pragmatischeren Business-Modell Swiss funktioniert es schon besser. Und nun gibt es «Campari Soda» erstmals als Single, die in der Hitparade auf Platz 6 einstieg und dort immer noch ist. Dem Kultcharakter von Dominique Grandjeans Lied wird der Ausverkauf nicht schaden. Solange (wie im Text von «Campari Soda») unter dem Wolkenmeer immer noch Malaga auftaucht, gibt es diesen grossen Schweizer Song für immer.

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